Horizontale Evolution

Denkt man an Evolution, stellt man sich oft einen mehr oder weniger geraden Weg vom Einfachen zum Komplexen vor. Organismen entwickeln sich weiter und passen sich ihrer Umwelt an. Doch diese Vorstellung muss man über Bord werfen, zum einen ist höhere Komplexität kein Merkmal von Anpassung, sie ist nur ein möglicher Weg dahin, auch eine Vereinfachung kann eine Anpassung bedeuten.

Und es geht nicht nur vor und zurück, manchmal macht die Evolution auch einen Schritt zur Seite und es werden Gene zwischen unterschiedlichen Arten ausgetauscht. Bei Bakterien ist das gang und gäbe, aber auch bei Pflanzen ist bekannt, dass sie ihre Gene nicht nur untereinander weitergeben, sondern auch an Nachbarn auf dem Feld. So sind Fälle bekannt, in denen Pflanzen, die gentechnisch resistent gegen Unkrautbekämpfungsmittel gemacht wurden, diese Eigenschaft auch an das Unkraut weitergegeben haben.

Dieser horizontale Genaustausch zwischen unterschiedlichen Arten ist kein Ausnahmefall von Bakterien oder einigen Pflanzen, sondern scheint sich im Laufe der Erdgeschichte immer wieder ereignet zu haben.

1997 wurde erstmals untersucht, wie sich zwei Escherichia-coli-Bakterienstämme genetisch unterscheiden, es handelte sich um ein im Labor gut untersuchtes Bakterium und einen Stamm, der als Krankheitserreger bekannt ist. Dabei stellte sich heraus, dass ein Großteil der zusätzlichen Gene, die etwa 26% des Gesamtgenoms ausmachten, für die Virulenz des Bakteriums verantwortlich sind und vermutlich durch horizontalen Gentransfer über Bakteriophagen - Viren, die Bakterien infizieren - aufgenommen wurden.

Eine andere Untersuchung an einem Enzym, das man in ähnlicher Form in Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Tieren findet, hat gezeigt, dass das Gen, das in Bakterien für dieses Enzym verantwortlich ist, den Eukaryonten näher steht, als andere bakterielle Gene. Ein Hinweis darauf, dass Bakterien dieses Gen von höheren Lebewesen erhalten haben – Eukaryonten sind Zellen, die einen abgeschlossen Zellkern haben und deren Energie in Mitochondrien erzeugt wird, wie in Pilzen, Pflanzen und Tieren. Wobei die Übergabe des Gens wahrscheinlich 470 bis 650 Mio. Jahre zurückliegt, während sich Eukaryonten und Bakterien vor etwa 1,5 – 1,8 Mrd. Jahren getrennt haben (was man z. B. über die Mutationsrate im Genom abschätzen kann).

Aber der horizontale Gentransfer ist kein Phänomen, dass auf einfache Organismen, wie Bakterien begrenzt ist, inzwischen gibt es Hinweise, dass auch Tiere über Gensequenzen verfügen, die näher miteinander verwandt sind, als die Arten, in denen sie gefunden wurden. Dazu gehören die Fruchtfliegenarten Drosophila willistoni und Drosophila melanogaster, die über ebensolche Genabschnitte zu verfügen scheinen. Der Gentransfer könnte durch einen Parasiten zu Stande gekommen sein, den sich diese beiden Fliegenarten mit einer Ameisenart teilen.

Diese Entdeckung zeigt aber auch, dass der Transfer von Genen zwischen unterschiedlichen Arten höhere Lebensformen ein eher seltener Prozess ist, der durch besondere Umstände, wie einen gemeinsamen Parasiten oder eine Virusinfektion begünstigt werden muss. Auf der anderen Seite ist der Austausch von Gensequenzen für Bakterien ein evolutionärer Vorteil, da auf diese Weise z. B. Resistenzen schnell weitergegeben werden können. Die Übergabe erfordert meist einen direkten Kontakt der Bakterien, aber einige Stämme verfügen über die Möglichkeit, auch freie DNS aus ihrer Umgebung aufzunehmen. Derartige freie DNS kann unter Umständen pflanzlichen Ursprungs sein und sich unter günstigen Umständen zwei oder mehr Jahre im Boden halten. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese freien Gene durch Bakterien oder Pilze auf andere Arten übertragen werden, ist zwar gering, aber nicht völlig auszuschließen.

Einige Untersuchungen zeigen inzwischen, dass der horizontale Gentransfer zwischen Pflanzen häufiger vorkommen könnte, so ist bei einer bestimmten Kiwipflanze ein Gen gefunden wurden, dass man zwar von Liliengewächsen kannte, aber in anderen Kiwiarten nicht vorkommt. Und beim Kanadischen Blutkraut scheint die Hälfte eines Gens von einer anderen Pflanzenart zu stammen.

In Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen heißt das natürlich, dass diese ihre Gene durchaus auch an andere Pflanzen und Organismen weitergeben können, dabei handelt es sich aber um einen ganz natürlichen Prozess, der in der Natur schon seit Ewigkeiten abläuft. Der Unterschied liegt aber darin, dass hier Gene in ein Ökosystem eingeführt werden, die sonst nicht in dieser Weise verfügbar wären, ob und welche Rolle das spielt, muss erst noch untersucht werden.

Der Gentransfer von einer Art zur anderen ist aber nur eine Möglichkeit, wie die Evolution eine horizontale Abkürzung nehmen kann. Hin und wieder sind es nicht nur ein paar Gene, die aufgenommen werden, sondern ein ganzer Organismus.

Diese Endosymbiose vermutet man bei den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien oder den das Chlorophyll enthaltenden Plastiden der Pflanzen, die vermutlich in der Frühzeit eigenständige Organismen waren und sich irgendwann mit einer anderen Zellart zusammengetan haben und von dieser aufgenommen wurden. Im Laufe der Zeit verloren sie viel von ihrem eigenen Erbmaterial, aber sie vermehren sich noch immer durch Teilung und entstehen nicht in jeder Zelle von neuem. Dieser Zusammenschluss wäre aber ohne einen Gentransfer zwischen den Zellarten wahrscheinlich nicht möglich gewesen, denn für eine funktionierende Symbiose mussten schließlich Nährstoffe ausgetauscht und verarbeitet werden. Viele Gene, die der Symbiont verloren hat, müssten sich demnach in der Wirtszelle wiederfinden. An zwei Algengruppen wird dieser besondere Gentransfer zur Zeit untersucht.

Alles in Allem geht die Evolution nicht nur den vertikalen Weg - sei das nun auf oder abwärts, wie man das lange Zeit geglaubt hat. Die Evolution lässt sich in dieser Hinsicht nicht einschränken und sorgt dafür, dass das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden muss, wenn es auch durch Gentransfer oder Endosymbiose weitergegeben werden kann. Horizontale Evolution ist ein bedeutender Faktor in der Entwicklung der Arten.


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