Schwarmverhalten

Wer schon einmal einen Vogel-, Tier- oder Fischschwarm beobachtet hat, weiß, wie komplex und faszinierend die Bewegungsmuster sind, die bei Richtungsänderungen oder in der Dynamik der Bewegung entstehen.

Bis in die dreißiger Jahre hat man sich gefragt, wie derartige Muster entstehen können, da sie scheinbar die Absprache zwischen den einzelnen Teilen des Schwarms erfordern.

Aber tatsächlich sind die Regeln, nach denen sich ein Schwarm richtet, sehr einfach. Im Grunde genügt schon "bleibe immer nahe bei den Anderen, halte einen bestimmten Mindestabstand ein (vermeide Kollisionen) und bewege dich mit der gleichen Geschwindigkeit und in dieselbe Richtung wie die Nachbarn". Wie viele Nachbarn in die Betrachtung einbezogen werden und mit welcher Priorität die Regeln angewandt werden, ist dann maßgeblich für das individuelle Verhalten des Schwarms.

Bei Ameisen auf der anderen Seite kann man zum Beispiel die Futtersuche sehr gut simulieren, wenn man von wenigen einfachen Regeln ausgeht. Zunächst muss die Ameise herumlaufen, wenn es an aktuellem Ort kein Futter gibt, soll sie weitergehen. Trifft sie eine andere Ameise, soll sie fragen, ob Futter in der Nähe ist, wenn ja, soll sie etwas davon zum Bau bringen, wenn nicht, soll sie sich entfernen und woanders suchen. Sie soll solange zu einer gefundenen Futterquelle zurückkehren, bis der Vorrat aufgebraucht ist.

Diese einfachen Vorschriften führen zu einem erstaunlich realistischen Verhalten der virtuellen Ameisen, wobei in der Realität sicher noch andere Regeln für bestimmte Situationen, wie Gefahren oder Hindernisse, dazukommen.

Alles Weitere entsteht aus der Gruppendynamik, so dass es keinen Führer braucht, um das Verhalten zu bestimmen. Entdeckt einer der Vögel beispielsweise einen Fressfeind oder ein Hindernis, so ändert er instinktiv die Richtung und der Rest des Schwarms folgt in der bekannten Wellenbewegung. Das Schwarmverhalten bringt dem Individuum zwei Vorteile, zum einen hilft es bei der Futtersuche, weil viele Tiere danach Ausschau halten, zum anderen bietet die Menge einen Schutz vor Fressfeinden, die von der großen Masse verwirrt werden.

Aber es kann auch Nachteile haben, wenn Wale Fischschwärme zusammentreiben, um sich an ihnen gütlich zu tun. Man könnte fast von einem siebten Sinn sprechen, der dieses Verhalten ermöglicht, aber tatsächlich ist es die Verarbeitung ganz gewöhnlicher Sinneseindrücke, wie z. B. Sicht oder bei Fischen der Druck (der über das Seitenlinienorgan aufgenommen wird) und auch Menschen zeigen Schwarmverhalten, ob sie das nun wollen oder nicht.

In Rechenmodellen, wie sie z. B. auch in Computersimulationen bei Spielen oder Filmen verwendet werden, genügen diese einfachen Regeln, um ein außerordentlich natürlich wirkendes Verhalten zu erreichen. In einem Computerspiel verhalten sich die virtuellen Gestalten schon recht realistisch, wenn man ihre Aktionen gemäß einer einfachen Hierarchie aufbaut, an deren Spitze die Strategie mit Zielen und Planungen steht, gefolgt von einer Berechnung der möglichen Bewegungspfade und schließlich die Bewegung und Animation selbst.

Man kann sich das sehr leicht an einem einfachen Beispiel klarmachen, in einem Computerspiel steht man mehreren Monstern gegenüber, die nur ein Ziel haben, einen kalt zu machen. Ihre Bewegungen folgen auch hier wieder recht einfachen Regeln, zusammenbleiben, Deckungen nutzen, sich dem Spieler nähern und draufhauen, wenn er in Reichweite ist.

Wenn die Regeln der KI einigermaßen klug gewählt sind, hat man es plötzlich mit Gegnern zu tun, die sich erstaunlich realistisch verhalten.In der Regel tritt das Schwarmverhalten beim Menschen (wie wahrscheinlich auch bei den anderen Tieren) eher unbewusst auf, aber es kann verhängnisvolle Folgen haben.

Bei Brandkatastrophen beobachtet man immer wieder, dass sich die Mehrzahl der Leute durch einen einzigen Ausgang drängen wollen, während andere Fluchtwege mehr oder weniger unbeachtet bleiben. Das liegt daran, dass Menschen in Panik als Herde reagieren und nicht immer rationales Verhalten zeigen. Durch die Simulation des Fluchtverhaltens schon in der Planungsphase eines Gebäudes kann man dieses Verhalten aber bei der Festlegung und Gestaltung der Fluchtwege berücksichtigen.

Eine interessante Beobachtung, die man dabei macht, ist, dass ein Hindernis vor dem Notausgang die Situation entspannen und die Gefahr, dass Menschen stürzen und zu Tode getrampelt werden, verringern kann. Für diese Simulation verwendet man das sog. ABM (agent-based-modeling), bei dem jedes simulierte Individuum die Situation einschätzt und auf Grund eines vorgegebenen Regelsatzes Entscheidungen über sein weiteres Vorgehen trifft.

Der Vorteil dabei ist vor allen, dass das System dynamisch auf die Veränderungen reagiert, die während des Ablaufs auftreten, wie zum Beispiel die Aktionen der anderen simulierten Individuen, wie und wohin sie sich bewegen, wo Gruppen entstehen und so weiter. Schon kleine Änderungen im Regelsatz können zu völlig unterschiedlichem Verhalten führen, dass sich mit der eigenen Intuition keine verlässlichen Vorhersagen mehr machen lassen.

Nimmt man 10-40 Leute in einem Raum und fordert sie auf, sich zwei beliebige Menschen A und B im Raum auszusuchen und sich dann so zu bewegen, dass sich A immer zwischen ihnen und B befindet, führt das schnell zu einem völlig chaotischen Herumlaufen im Raum. Ändert man die Regel, dass sie sich immer zwischen A und B befinden sollen, ändert dies die Situation dramatisch, plötzlich drängt sich die Gruppe auf engem Raum zusammen.

Mit ABM oder Schwarmverhalten allgemein verändert sich die Perspektive auf das Verhalten von Gruppen, man kann nicht mehr fragen, warum sich das Verhalten so darstellt, wie man es beobachtet, sondern man muss sich fragen, welche Regeln müssen bei den Individuen des Schwarms angewendet werden, um dieses Verhalten zu simulieren.


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