Wenn man von Naturgesetzen spricht, geht man in der Regel davon aus, es hier mit einer fundamentalen Wahrheit zu tun zu haben, die universell gültig und im Wesentlichen unveränderlich ist - sieht man vielleicht einmal davon ab, dass die Naturkonstanten genauer bestimmt werden.
Aber zunächst lassen sich viele Naturgesetzte reduzieren auf die Physik, die dahintersteckt. So sind Gesetzmäßigkeiten in der Biologie oder Chemie in der Regel auf die Wechselwirkungen von Atomen und Molekülen zurückzuführen, und wo das nicht möglich ist, liegt das eher an der Komplexität des Problems als an einer tatsächlichen Unmöglichkeit. Wenn man also von Naturgesetzen spricht, sind damit also in letzter Konsequenz physikalische Gesetze gemeint.
Aber damit ist noch nicht die Frage geklärt, was diese Naturgesetze eigentlich sind, wann und wie ihre Gültigkeit festgelegt ist und vor allem muss es einen Grund geben, warum sie gelten – und dieser Grund ist dann vielleicht nur ein tiefliegenderes Gesetz, für das man sich wieder dieselben Fragen stellen kann.
Naturgesetze können ganz unterschiedlichen Ursprungs sein, einige folgen aus der Beobachtung bzw. Experimenten, andere sind logische oder mathematische Schlussfolgerungen aus Axiomen und Annahmen.
So ist zum Beispiel das Trägheitsgesetz von Newton, das besagt, dass sich ein Körper, auf den keine Kraft einwirkt, in Ruhe befindet oder sich unverändert weiterbewegt, ein Gesetz, das sich aus der Beobachtung herleitet.
Die Griechen haben das etwas anders gesehen: sie gingen davon aus, dass Körper immer danach streben, sich in Ruhe zu befinden, und sich Bewegungszustände verlangsamen.
Gesetze, die sich aus Beobachtungen ableiten, müssen also nicht zwangsläufig unveränderbare Naturgesetzte sein, sie können durch "genauere" Beobachtung bestätigt oder widerlegt werden. Und derartige Schlussfolgerungen können auch zu falschen Gesetzen führen. So zeigt die Beobachtung beispielsweise, dass es keine Goldkugeln von einem Kilometer Durchmesser gibt, einen physikalischen Grund, warum eine solche Kugel nicht existieren sollte, gibt es jedoch nicht. Auf der anderen Seite ist die Existenz einer Urankugel mit diesen Ausmaßen definitiv unmöglich, weil die Überschreitung der kritischen Masse zu einer Atomexplosion führen würde.
Letzteres könnte also durchaus ein Naturgesetz sein, allerdings sieht man schon, dass es hier offensichtlich tiefliegendere Regeln gibt – die der Kern- und Atomphysik –, sodass es sich dabei jedenfalls nicht um ein fundamentales Naturgesetz handelt. Und was das Newton'sche Axiom angeht, so gilt die Aussage ja nur für unveränderliche Massen (das ist in der Natur nicht zwingend gegeben). Man kann es aber erweitern und gelangt zur Impulserhaltung (der Impuls ist das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) und von hier aus zur Energieerhaltung, einem wichtigen Naturgesetz.
Aber leider scheint auch die Energieerhaltung nicht so fundamental zu sein, wie die Physiker das vielleicht gerne hätten. Zum einen ist es in der Quantenmechanik möglich, dass sich Teilchen für kurze Zeit etwas Energie ausborgen, um Barrieren zu überwinden (Tunneleffekt), womit die Energieerhaltung zwar im Großen und Ganzen erhalten bleibt, aber im Kleinen für kurze Zeit umgangen werden kann. Das wiederum hat seine Ursache in der Heisenberg'schen Unschärferelation, die in weiser Voraussicht gar nicht als Gesetz formuliert ist und besagt, dass Ort und Impuls eines Teilchens nie gleichzeitig mit beliebiger Präzision bestimmt werden können.
Auf der anderen Seite hat sich Emmy Noether 1912 überlegt, dass die Energieerhaltung auf Symmetrieeigenschaften der Natur zurückzuführen ist. Laut Noether-Theorem ist die Impulserhaltung eine Folge der Symmetrie des Raumes (es spielt keine Rolle, ob man sich vorwärts oder rückwärts bewegt),in einem rotationssymmetrischen System bleibt auch der Drehimpuls erhalten und die Energieerhaltung folgt aus der Zeitsymmetrie (warum wir uns in der Zeit nicht vor und zurück bewegen können, ist eine andere Frage, aber Antiteilchen kann man auch als Teilchen beschreiben, die sich rückwärts in der Zeit bewegen, so dass hier tatsächlich eine Symmetrie vorzuliegen scheint).
Damit ist das Newton'sche Naturgesetz, dass aus der genauen Beobachtung der Natur folgte, schließlich auf eine mathematisch logische Schlussfolgerung zurückgeführt, die natürlich voraussetzt, dass die Raumzeit tatsächlich symmetrisch ist.
Im Grunde offenbaren sich hier zwei Ansätze, ein Naturgesetz zu finden. Zum einen kann man aus der Beobachtung schließen und dies verallgemeinern. So ist die Aussage, dass alles eine Ursache habe, nicht aus tiefliegenderen Gesetzen abzuleiten, sondern eine Schlussfolgerung aus Erfahrungswerten. Der Philosoph David Hume argumentiert deshalb, dass Naturgesetze immer nur a posteriori, also nachfolgend formuliert werden können und nicht a priori, vorhergehend. Schließlich nehmen wir zwar Ursache und Wirkung nacheinander wahr, aber die Verbindung zwischen beiden ist nicht immer so offensichtlich. In Bezug auf das Noether-Theorem erscheint das zunächst verwirrend, doch auch hier folgt die Schlussfolgerung der Erhaltungssätze ja erst auch der Symmetrievoraussetzung. Hume schlussfolgert daraus, dass tatsächliche Erkenntnis nicht möglich sei und begründet damit den Skeptizismus.
Emanuel Kant hingegen war der Meinung, dass die Newton'sche Physik falsch sein müsste, wenn Hume recht hat. Allerdings erkennt er auch an, dass die Formulierung der Naturgesetze auf Basis des reinen Verstandes ohne sinnliche Anschauung nicht möglich sei. Kant ist überzeugt, dass die Erkenntnis a priori möglich sein, denn immerhin zeigen Mathematik und Physik, dass sie derartige Aussagen machen können und führt seine Erkenntnistheorie in seiner Kritik der reinen Vernunft 1781 aus. Laut dieser erkennen wir nicht das Ding-an-sich, so wie es unabhängig von der Beobachtung (streng genommen jede Wechselwirkung) vorliegt, sondern nur ein Ding-für-uns, das durch Sinneseindrücke, Vorstellungen, Empfindungen und Begrifflichkeiten geprägt ist. Unsere Erkenntnis ist demnach dadurch geprägt, wie wir die Welt wahrnehmen und Sinneseindrücke verarbeiten.
In Bezug auf Naturgesetze heißt das, dass wir auch hier in unseren Aussagen über die Natur beschränkt sind auf die Wahrnehmungen, die sich uns von der Natur offenbahren. Mit Experimenten, immer besseren Detektoren, die unsere Wahrnehmung erweitern und Theoriegebäuden kommen wir der Beschreibung der Natur heutzutage so nahe wie nie zuvor, aber die Erkenntnis einer letzten Wahrheit ist dem (physikalisch) beschränkten Verstand unmöglich und damit sind auch die Naturgesetze nur Regeln, die wir aufstellen, um unsere Erkenntnisse von der Welt zu beschreiben und keine fundamentalen Wahrheiten über das Ding-an-sich. Trotzdem hat die Wissenschaft gegenüber der Religion natürlich den Vorteil, dass ihre Aussagen überprüfbar sind und ständig verbessert werden, während sie der Kontrolle der wissenschaftlichen Gemeinde unterliegen. So ist die Naturwissenschaft trotz ihrer Begrenztheit doch unsere beste Chance, etwas von dem zu verstehen, was um uns herum passiert, selbst wenn die Naturgesetze nur beschreiben, wie wir die Welt sehen (können).
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Naturgesetze | Max | 01.12.2014 15:13 Uhr | /forschung/naturgesetze.html/100 | *LAST* |