75 Jahre und viele gespaltene Atome später

Mitte der 1930er Jahre überzeugte Lise Meitner ihren Kollegen Otto Hahn, die Experimente von Enrico Fermi von 1934 zu wiederholen. Bei diesen Versuchen wurde Uran mit Neutronen beschossen und Ziel war es, neue, schwerere Elemente zu schaffen, die Transurane.

Das Experiment schlug mehr oder weniger fehl. Im Dezember 1938 wurden keine schwereren Elemente gefunden, im Gegenteil, es tauchten plötzlich leichtere Atome auf, die in der Natur gar nicht vorkommen, wie z.B. Barium. Hahn sprach dabei von einem "Zerplatzen" des Atoms, was im Widerspruch zu allem stand, was man bis dahin über Atome zu wissen glaubte: sie sollten nicht in der Lage sein, einfach in zwei Teile zu zerplatzen.

Er bat also Lise Meitner um Hilfe, die zu dieser Zeit schon in Schweden lebte; als Jüdin hatte sie nicht in Deutschland bleiben können. Zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch fand sie eine Erklärung und erkannte dabei auch, dass bei diesem Vorgang sehr viel Energie frei wird.

Es stellte sich heraus, dass die frei werdende Energie von 200 Mio. Elektronenvolt (oder 200 MeV) dem Massenverlust entspricht, welcher bei der Kernspaltung eintritt. Im Vergleich zu anderen chemischen Prozessen, die nur wenige Elektronenvolt freisetzen, ist das gigantisch und eine Bestätigung für Albert Einsteins Formel E=mc². Nähme man eine Tonne Uran, würden nach dem Spaltprozess noch 999 kg übrig bleiben und 1 kg entspräche der freigesetzten Energie. Um dieselbe Energie freizusetzen wie bei einem einzigen Uranatom frei wird, müsste man 33 Mio. Kohlenstoffatome verbrennen, denn jedes Kohlenstoffatom kann bei der Verbrennung nur 6 eV freisetzen.

Die 200 MeV teilen sich auf in 165 MeV kinetische Energie für die gespaltenen Atomkerne (das Barium), 6 MeV gehen als Gammastrahlung (energiereiche Photonen) verloren. Es werden drei Neutronen freigesetzt, die 5 MeV mitbekommen. 11 MeV gehen in Beta- (Elektronen) und Gamma-Strahlung der Spaltprodukte und 13 MeV stecken in Neutrinos, die ebenfalls bei der Spaltung entstehen.

Andere Forscher, welche die Experimente wiederholten, fanden heraus, dass die entstehenden Neutronen wieder andere Kerne spalten können.

Bereits 1942 wurde auf dieser Basis der erste Atomreaktor in den USA gebaut.

Militärische Anwendungen folgten und eskalierten in Form der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. So hatten sich die Entdecker der Kernspaltung das nicht vorgestellt und sie protestierten gegen die militärische Nutzung, mit wenig Erfolg.

Was man sich gewünscht hatte, war eine Energiequelle, die sicher, günstig und schier unerschöpflich wäre.

In den 75 Jahren seit der Entdeckung haben wir viel gelernt. 1979: Three Mile Island, 1986: Chernobyl und 2011: Fukushima – um nur die größten Unfälle zu nennen. Selbstverständlich wurden die Sicherheitsvorschriften mit jedem Ereignis angepasst, aber es drängt sich doch der Eindruck auf, dass diese Technologie nicht ohne sehr großen Aufwand und nur mit erheblichen Risiken zu beherrschen ist.

Und das berücksichtigt noch nicht einmal die Gefahr, dass radioaktive Stoffe in die falschen Hände geraten und in Atomwaffen oder als Terrormittel eingesetzt werden. Die Abfälle müssen über Millionen von Jahren sicher gelagert werden, was nicht nur teuer ist, sondern auch zur Gefahr für zukünftige Generationen werden kann. Und selbst der Bau und der Unterhalt von Atomkraftwerken erscheinen nur deshalb günstig, weil sie hinten und vorne subventioniert werden. Ohne diese Unterstützung wäre die Nutzung unrentabel, und zahlen muss der Steuerzahler.

Doch nicht alles ist negativ an dieser Technologie. Sie ermöglicht auch Anwendungen in der Medizin, die sonst nicht oder sehr viel schwieriger umzusetzen wären. Man denke nur an die Behandlung von Tumoren durch die Strahlentherapie oder die Therapie von Prostata- und Schilddrüsenerkrankungen.

Wie sieht also die Bilanz nach 75 Jahren aus?

Wir haben viel dazu gelernt und das ist immer gut. Und bei allen Fehlern und Gefahren hat die Kernfusion die Lebensqualität sehr vieler Menschen verbessert.

Und jetzt ist es, denke ich, an der Zeit, ihre Nutzung als Energiequelle einzustellen, denn wir sollten es besser wissen. Militärisch wird ihre Bedeutung wahrscheinlich abnehmen, denn die große Abschreckungsmaschinerie wird nicht mehr gebraucht. Hier ist die Atombombe eher zum Statussymbol geworden, das mancher Despot haben möchte; aber ein tatsächlicher Einsatz wäre Wahnsinn.

Medizinisch und in der Wissenschaft wird uns die Kernfusion weiter begleiten.

Die Kernspaltung ist ein zweischneidiges Schwert, das mit Umsicht eingesetzt werden sollte. Ihre Entdecker konnten das nicht absehen, weder die guten Seiten noch die schlechten.


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