In meinem letzten Artikel bin ich schon auf das Chaos eingegangen und von dort ist es kein weiter Weg mehr bis hin zu den Fraktalen, aber wir müssen noch etwas Vorarbeit leisten.
Zunächst mal müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Dimensionen immer gradzahlig sind. Um Fraktale zu beschreiben, braucht man gebrochene Dimensionen, die beschreiben, wie gut eine Figur die Dimensionen füllt, in der sie sich befindet.
Eine Gerade besitzt die Dimension eins, denn sie füllt den eindimensionalen Raum vollständig, eine Fläche füllt den zweidimensionalen Raum und hat die Dimension zwei. Legt man einen Faden auf ein Blatt Papier, liegt seine fraktale Dimension aber zwischen eins und zwei, weil er die Fläche in gewisser Weise füllt, man spricht dabei auch von einer effektiven Dimension.
Und dann kommt noch hinzu, dass ein Objekt je nach Betrachtung unterschiedliche effektive Dimensionen haben kann. Ein Wollknäuel von 10 cm Durchmesser aus einem Faden von 1 mm Dicke erscheint aus großer Entfernung, wie ein eindimensionaler Punkt. Aus der Nähe ist es ein dreidimensionales Objekt, aber wenn man noch näher herangeht, wird es ein Gewirr von eindimensionalen Fäden. Und noch näher wird jeder Faden ein eigenes dreidimensionales Gebilde, und dann löst sich der Faden in einzelne Fasern auf - und so weiter, und so weiter.
Dieser Wechsel in den Dimensionen begegnet uns im Grunde bei jedem Objekt, das wir beobachten und die Übergänge zwischen den Dimensionen lassen sich mit unseren neuen fraktalen Dimensionen beschreiben.
Fraktale haben hier aber eine besondere Eigenschaft, ihre Dimension ist eigentlich immer gebrochen und ändert sich nicht mit dem Betrachtungsabstand. Das heißt, sie sind selbstähnlich oder skaleninvariant, ganz gleich, wie nah man ihnen kommt, oder wie weit man sich von ihnen entfernt, sie sehen sich immer ähnlich.
An dieser Stelle kommt das klassische Beispiel der Länge der Küste Englands ins Spiel. Auf der Landkarte ist das eine Kurve, welche die Ebene der Landkarte teilweise füllt, was es sehr schwer macht, ihre Länge abzuschätzen, denn je näher man herangeht - mit immer detaillierteren Karten, desto feiner werden die Details und die Länge nimmt immer weiter zu.
Man kann sich das vor Augen führen, im dem man sich die Schneeflockenkurve ansieht, sie besteht aus einem einfachen Element, wie _/_, das man in die Seiten eines gleichseitigen Dreiecks einsetzt. Setzt man dieses Element verkleinert in sich selbst ein, entsteht schon nach wenigen Iterationen - Wiederholungen - eine komplexe Figur, die einer Schneeflocke ähnelt. Der Umfang dieser Figur geht ins Unendliche und noch schlimmer, man kann genau genommen nirgends mehr eine Tangente anlegen, weil die Kurve nach vielen Iterationen praktisch in jedem Punkt die Richtung ändert. Aber nähert man sich der Schneeflockenkurve, sieht sie sich selbst immer ähnlich, weil sich die Elemente ständig wiederholen und die fraktale Dimension dieser Kurve liegt bei etwa 1,26. Die Dimensionen von Küstenlinien liegen in der Regel zwischen 1,15 und 1,25.
Aber die fraktale Dimension hat noch ganz andere Bedeutung, so hat das Hämoglobinmolekül, das für den Sauerstofftransport im Blut zuständig ist, eine Dimension von 2,4, was auf eine sehr zerklüftete Oberfläche hinweist, so bietet das Protein eine große Reaktionsfläche für seine Verbindung mit dem Sauerstoff.
Noch faszinierender ist das Adersystem des Menschen, obwohl es nur 3% des menschlichen Körpers ausmacht, muss es fast jedem Punkt im Organismus möglichst nahe kommen - was für eine hohe fraktale Dimension spricht. Tatsächlich erreichen die Arterien mit ihren 8-30 Verzweigungen vom Herzen bis zu den Kapillaren eine effektive Dimension von 2,7, was schon ziemlich gut ist. Nur die Lunge übertrifft das noch mit einer Dimension knapp unter 3, und das sind lediglich biologische Feinheiten, weil die Zellen nun mal nicht unendlich klein sind.
Dieses Verhalten hat eine sehr praktische Bedeutung für die Lebewesen, denn die Informationen, die für diese Anordnungen nötig sind, ließen sich niemals in all ihrer Komplexität in den Genen speichern. Aber da Fraktale selbstähnlich sind, genügt eine einfache Anweisung für das Ausknospen der einzelnen Verzweigungen - soweit geradeaus und dann in diesem Winkel verzweigen, oder so.
Das Gleiche gilt nicht nur für Adern und Atemwege, auch die Struktur des Gehirns und der Aufbau von Pflanzen - Anordnung der Blütenblätter oder die Verteilung von Ästen und Blättern an einem Baum - lässt sich fraktal beschreiben.
Und damit sind wir wieder bei den Iterationen, die wir schon aus der Betrachtung des Chaos kennen, unter bestimmten Umständen scheint die Entwicklung also nicht unvorhersehbar zu werden, sondern zu sehr interessanten Strukturen zu führen.
Um von den Iterationen, die wir aus der Betrachtung des Chaos kennen, zu denen der Fraktale zu kommen, müssen wir allerdings anfangen, komplexe Zahlen zu benutzen - also die Wurzel aus -1.
Vergessen wir mal, dass man in der Schule erzählt hat, man könne aus negativen Zahlen keine Wurzeln ziehen, dann heißt das lediglich, dass diese komplexen Zahlen mehrere Komponenten haben, an Stelle des Zahlenstrahls tritt bei ihnen eine Zahlenebene, in welcher der reelle Teil - klassische Zahlen - und der imaginäre Anteil - die negativen Wurzeln - die Koordinaten darstellen. Dazu lässt man einfach zu, dass negative Wurzel vielleicht doch Lösungen haben und benutzt sie so, wie sie kommen. Eine komplexe Zahl z sieht dann wie folgt aus: z = x + y * Wurzel(-1) , wobei x und y die Koordinaten in der Ebene sind. Diese z kann man jetzt wieder iterieren, und zwar mit z˛+c, wobei c eine beliebige Konstante ist und man das Ergebnis wieder in die ursprüngliche Gleichung einsetzt. Bei gegebenen c schaut man sich dann an, für welche Anfangswerte von z die Lösungen ins Unendliche gehen, diese Punkte markiert man auf der komplexen Zahlenebene, sie bilden eine sog. Julia-Menge.
Was man erhält, ist also der Rand eines Gebiets, dessen Anfangswerte gegen einen Punkt im Unendlichen streben - wir erinnern uns, solche Objekte heißen Attraktoren, und dies ist ein sehr seltsamer.
Man kann Julia-Mengen unterscheiden, deren Einzugsgebiete zusammenhängen oder auseinanderfallen, untersucht man für alle möglichen Konstanten c, ob die Menge zusammenhängt oder nicht. Tut sie es, markiert man diese c. Das Ergebnis ist das berühmte Apfelmännchen - oder die Mandelbrot-Menge.
Diese Menge ist unglaublich komplex, jede Vergrößerung enthüllt neue und komplexe Strukturen, in denen immer wieder das Apfelmännchen auftaucht.
Die Theorie der Fraktale wurde 1975 von Benoit Mandelbrot ausgearbeitet und hat seit dem ihren Einfluss beim Verständnis der Welt geltend gemacht, ob es nun Schneeflocken sind, Blutgefäße oder komplexe Mengen mit feinsten Strukturen, wie das Apfelmännchen. Natürlich sind auch Fraktale kein Allheilmittel für jeder Frage, aber faszinierend sind sie auf jeden Fall.
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