Rosetta Disk

Es ist heute keine Schwierigkeit mehr, ein paar Terabyte an Daten in irgendeinem Rechenzentrum zu speichern, aber es handelt sich dabei in der Regel um eine recht kurzfristige Speicherung, einige Jahre vielleicht. Und auch die Verbreitung von Daten über das Internet geht so schnell wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Will man Daten länger aufheben oder gar zukünftigen Generationen zugänglich machen, nützen digitale Speicher sehr wenig. Zum einen halten die Datenträger nicht so lange, bei CDs vermutet man einige Jahrzehnte, zum andern veraltet die Hard- und Software mit der die Daten gelesen und verarbeitet werden können. Man kann versuchen, diese Probleme zu umgehen, indem man die Daten immer wieder umkopiert und die alten Computer aufhebt, aber das ist kompliziert, und die veraltete Technik zu warten, ist kostspielig. Teilweise kann man die Funktionsweise alter Rechner auch simulieren, doch auch das scheint für eine langfristige Lösung kein zufrieden stellender Weg zu sein. Der einzig gangbare Weg scheint hier zu sein, die Daten immer wieder in aktuelle Formate umzukopieren, so dass sie weiterhin nutzbar bleiben,, aber auch das ist für bei den großen Datenmenge bestenfalls für Regierungen und größere Unternehmen praktikabel. Keine dieser Lösung ist also wirklich eine Antwort auf das zugrunde liegende Problem, sondern bestenfalls eine Hilfskonstruktion, bis uns eine bessere Lösung einfällt.

Diese Gründe, und das bis vor kurzem fehlende Bewusstsein, führen dazu, dass schon jetzt Daten aus den Anfängen des Computerzeitalters unwiederbringlich verloren gegangen sind. Das erscheint auf den ersten Blick gar nicht so tragisch, in unserer schnelllebigen Welt, aber wenn irgendwann die Archäologen der Zukunft unsere Stadt freilegen, werden sie erstaunlich wenig über unsere Kultur in geschriebener Form finden.

Zur Zeit der Sumerer und Ägypter war das alles kein Problem, sie haben auf Ton und Papyrus geschrieben und auch in Stein gemeißelt. Viele dieser Schriften sind bis heute erhalten geblieben und sind ein unschätzbarer Schatz, wenn es um das Verständnis des Lebens in diesen Epochen geht. Vielleicht ist es Hybris, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie zukünftige Generationen von unserem Tun und Handeln erfahren sollen, aber es ist wohl auch ein ganz natürlicher Wunsch, nicht in Vergessenheit zu geraten. Wieder anzufangen, auf Ton zu schreiben ist natürlich keine Lösung, aber die Sache mit dem Meißeln in Stein hat schon ihren Reiz - dieser übersteht gewiss einige Jahrtausende, wenn er nicht zerstört wird.

Die Long Now Foundation hat sich diesem Problem verschrieben. Zusammen mit dem Getty Museum organisierten sie eine Konferenz, um sich Gedanken zu machen, wie man das Wissen der Welt für 10.000 Jahre sichern kann. Dabei müssen eine ganze Reihe von Fragen geklärt werden, welche Sprache soll benutzt werden, welches Format und welches Material. Und dazu sollte der Text indiziert und zu durchsuchen sein, auch wenn in Zukunft vielleicht keine digitalen Computer mehr zur Verfügung stünden. Es wurde schnell klar, dass ein solches Ziel nicht zu erreichen ist. Stattdessen entschied man zunächst die Sprachen selbst zu retten und diese parallel und in Mikroschrift auf eine Scheibe zu gravieren - der Rosetta Disk. Man geht im Moment davon aus, dass 50 bis 90 % der Sprachen dieser Welt im nächsten Jahrhundert aussterben werden. Die Long Now Foundation hat sich nun zum Ziel gesetzt, etwa 1000 der schätzungsweise 7000 Sprachen dauerhaft zu speichern und zu archivieren. Dazu werden für jede Sprache 10 charakteristische Textpassagen gespeichert, die später ausreichen sollen, um im Vergleich mit einer bekannten Sprache, so wie beim Stein von Rosetta, die verlorengegangene Sprache wieder zu rekonstruieren.

Sollte dann in der Zukunft ein Text in einer längst vergangenen Sprache auftauchen, so hätte man die Rosetta Disk als Referenz, um eine Übersetzung anfertigen zu können. Der Text für den man sich entschied, waren die ersten drei Kapitel der Genesis. Dieser Text dient aber nur als Referenz und ist alleine wohl kaum geeignet, eine Sprache zu konservieren, deshalb gibt es daneben eine Beschreibung der Sprache, ihrer Sprecher und ihre Verbreitung, das Sprachsystem mit Orthographie und Phonetik, Wortlisten und Zahlen, sowie einige Texte und Geschichten aus dem jeweiligen Sprachraum und schließlich Beispiele gesprochener Sprache mit phonetischer Transkription. Diese Texte sollen auf eine Nickelscheibe von etwa 10 cm Durchmesser graviert werden, die eine Lebensdauer von 2.000 - 10.000 Jahre hat.

Mit der Technik, die von den Los Alamos Laboratories und Norsam Technologies entwickelt wurde, lassen sich auf einer dieser Scheiben bis zu 350.000 Seiten an Daten speichern. Um die Daten wieder auszulesen, braucht man zumindest ein optisches Mikroskop, es wären aber auch Schriften denkbar, die nur mit einem Elektronenmikroskop wieder gelesen werden können.

Die Disk sieht so aus, dass in der Mitte die Erde abgebildet ist, von wo aus strahlenförmig Texte in verschieden Sprachen beginnen, die kleiner werden je weiter man liest, bis man schließlich zu einer Vergrößerung greifen muss, um weiterzulesen. Gelagert werden sollen die Disks in Kugeln aus Glas und Stahl, in die auch die Namen und Daten des jeweiligen Besitzers eingraviert werden sollen, um so die Geschichte der jeweiligen Scheibe nachvollziehen zu können. Zur Zeit existiert nur eine Kopie der Rosetta Scheibe, aber um die Chancen zu erhöhen, dass die ein oder andere bis in die Zukunft überdauert, sollen es noch Tausende werden, die überall auf der Welt die Epochen überdauern.

Die Rosetta-Scheibe ist aber nur ein Teil des Projekts, die Weltsprachen zu erhalten und das Augenmerk auf diesen Kulturschatz zu richten, weitere Teile umfassen ein Online-Archiv zur freien Nutzung und eine gedruckte Referenz.

Das Rosetta-Projekt ist ein faszinierendes Vorhaben, um wenigstens einen Teil des Sprachschatzes dieser Welt zu retten. Für den Datenverlust in unserer Gesellschaft ist es aber zumindest vorerst von geringer Bedeutung, denn die derzeit produzierten Datenmengen würden die Kapazität der Scheiben schnell erschöpfen, ganz zu schweigen davon, dass der zu treibende Aufwand für viele Daten nicht zu rechtfertigen wäre. Es muss also doch noch nach einer Lösung gesucht werden, die relativ günstig und flexibel bleibt.


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