Schneller als Licht!?

Nichts ist schneller als Licht im Vakuum - 299.792 km/s. So sah unsere Welt jedenfalls vor ein paar Tagen noch aus, bevor Forscher am CERN mit der Meldung an die Presse traten, sie hätten bei Experimenten Teilchen beobachtet, die diese Geschwindigkeitsbegrenzung übertreten und mit 300.006 km/s unterwegs sein sollen.
Die publizierten Ergebnisse vom OPERA-Experiment (Oscillation Project with Emulsion-Tracking Apparatus) sind heftig umstritten und es ist noch nicht klar, ob es sich um einen Messfehler handelt, ob wir tatsächlich die Physikbücher umschreiben müssen oder ob es sich um einen erklärbaren Effekt handelt.

In dem Experiment schoss man einen Strahl aus Neutrinos vom CERN zum Gran Sasso Laboratorium, wo sie nach etwa 730 km auf die Detektoren trafen.
Die Neutrinos entstehen durch einen Strahl aus Protonen (Bestandteile von Atomkernen), der auf ein Ziel schießt, wobei magnetische Partikel entstehen, die dann durch einen Tunnel fokussiert werden, wo sie in Neutrinos und andere Teilchen zerfallen.
Der Detektor ist etwa 1800 Tonnen schwer und besteht abwechselnd aus Bleiplatten und Photoemulsion, mit der Lichtblitze registriert werden, die entstehen, wenn Neutrinos im Blei mit Atomkernen reagieren – Neutrinos sind sehr zurückhaltend, was ihre Interaktion mit Materie angeht, deshalb benutzt man das sehr dichte Blei, um die Wahrscheinlichkeit für eine Reaktion zu erhöhen.

In dieser Anordnung wurde das Eintreffen der Neutrinos 60 Nanosekunden früher registriert, als das bei Licht der Fall gewesen wäre, welches 2,3 Millisekunden für die Strecke bräuchte.
60 Nanosekunden sind nicht viel, aber es ist ein Ergebnis, das nicht mehr mit statistischen Schwankungen erklärt werden kann. Dabei ist es nicht so, dass man mit einer Stoppuhr dabei sitzt und misst, wie lange die Neutrinos brauchen. Statt dessen verwendet man hochgenaue Uhren, die miteinander synchronisiert sind (die Synchronisation erfolgt über Funksignale, die natürlich auch nur mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs sind), und man beobachtet nicht ein Neutrino, sondern Tausende. Und aus der Verteilung der Signale über die Zeit, wenn der Detektor die Neutrinos registriert, kann man Durchschnittswerte für die Geschwindigkeit berechnen.

Und trotzdem sind die Wissenschaftler vorsichtig, denn eine außergewöhnliche Behauptung muss auch durch außergewöhnlich starke Beweise unterlegt werden, bevor sie von der wissenschaftlichen Fachwelt anerkannt werden.
2007 wurde ein ähnliches Experiment in Minnesota durchgeführt. Dort hat man die Ergebnisse aber nicht ernst genommen, weil die Unsicherheit beim MINOS-Experiment (Main Injector Neutrino Oscillation Search) zu groß war, um signifikant zu sein. Jetzt verstärkt man in den USA allerdings die Bemühungen die Messgenauigkeit zu erhöhen und das Experiment zu wiederholen um die europäischen Ergebnisse entweder zu bestätigen oder zu widerlegen.

Allerdings entstehen Neutrinos nicht nur in Teilchenbeschleunigern, sondern vor allem in Sternen und auch in Supernovae. Würden sich Neutrinos tatsächlich schneller als Licht – auch wenn es nicht viel ist – bewegen, dann hätten die Neutrinos der Supernova 1987a etwa drei Jahre vor dem zugehörigen Lichtblitz auf der Erde eintreffen müssen. Das war aber nicht der Fall. Die Neutrinos kamen etwa drei Stunden vor dem Licht, aber das lässt sich erklären, wenn man berücksichtigt, dass die Neutrinos die explodierende Sternmaterie praktisch ungehindert durchdringen, während die Photonen alle Nase lang absorbiert und wieder emittiert werden. Gammastrahlenausbrüche sind hier vielversprechender und das IceCube-Experiment versucht genau das – bisher ohne ein Ergebnis, das OPERA bestätigen würde.
Das alles macht es sehr schwer, die Ergebnisse zu einem so frühen Zeitpunkt einzuschätzen, und zunächst ist sicherlich erst mal abwarten angesagt.

Auf der anderen Seite schießen die Spekulationen jedoch schon ins Kraut und es lohnt sich einen Blick darauf zu werfen, was die Ergebnisse bedeuten könnten, wenn sie bestätigt werden können.

Erst einmal wird es gar keine Konsequenzen geben – außer einem Nobelpreis vielleicht. Denn die Physik ändert sich nicht. Es wird zwar hier und da behauptet, dass Einsteins Relativitätstheorie damit ins Wanken geraten würde, doch das ist falsch. Die Relativitätstheorie ist eine der am besten überprüften Theorien in der heutigen Wissenschaft. Ihre Vorhersagen werden also nicht plötzlich falsch, sondern bleiben weiterhin gültig und richtig, aber womöglich müsste man sie erweitern oder eine neue Theorie finden, welche die Relativitätstheorie einschließt (so wie diese auch die klassische Mechanik umfasst). Auch die Newton'sche Mechanik bliebe gültig, solange man nicht subatomare Partikel untersucht oder sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten bewegt.

Was denkbar ist, wären jedoch Ausnahmen von der Regel. In der Quantenmechanik ist es unmöglich, Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens gleichzeitig genau zu bestimmen. Möglicherweise ist das ja schon genug. Teilchen können Barrieren (z. B. Elektronen einen Isolator zwischen zwei Leiterbahnen) durchtunneln, indem sie die Energie dafür ausborgen. Es besteht einfach eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie die Teilchen außerhalb der Barriere befinden. Man kann sich die Wahrscheinlichkeit des Aufenthaltsorts des Teilchens wie eine Welle vorstellen. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit ist am größten im Maximum, aber sie verschwindet an den Rändern nicht völlig und die Welle läuft auseinander, je länger sie unterwegs ist. Erst wenn es zu einer Wechselwirkung kommt schnurrt die Wellenfunktion zusammen und das Teilchen wird auf einen bestimmten Ort festgelegt. Entgegen der Behauptungen vor einigen Jahren lässt sich damit keine Mozart-Symphonie mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen, weil die Informationsübertragung mit dem Wellenmaximum geschieht und nicht mit den Ausläufern (ein Teilchen, das zu früh auftaucht, überträgt noch kein Symphonie).

Eine andere Erklärung könnte sein, dass die Relativitätstheorie ein wenig abgeschwächt werden muss, wenn sie behauptet, die Lichtgeschwindigkeit c sei für jeden Beobachter und überall gleich. Doch das ist problematisch, denn Einstein hat sich c nicht ausgedacht, sie stammt von Maxwells Gleichungen, in denen er elektrische und magnetische Phänomene und ihre Wechselwirkungen zur Elektrodynamik vereint.

Oder die Neutrinos nehmen ein Abkürzung durch höhere Dimensionen, die Superstringtheorie stellt mit insgesamt 11 Dimensionen genügend Auswahl bereit.
Alles in allem sollte man noch vorsichtig sein. Die Ergebnisse sind interessant, entweder lernen wir einen neue Physik kennen oder erfahren, wie man diese Experimente besser durchführt.

Nachtrag: Es war ein Messfehler. Glasfaserverbindungen waren nicht richtig angeschlossen und die Gerate zur Zeitmessung waren fehlerhaft. Und Experimente einer anderen Forschergruppe am selben Institut zeigen, dass Neutrinos exakt mit Lichtgeschwindigkeit reisen.


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BeitragvonDatumAntworten Letzte Antwort
Neutrinos schnellerAndre Klatt10.04.2013
23:24 Uhr
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