Was Denkt ist Ich (Teil 2) - Das Ich und sein Bewusstsein

Was Denkt ist Ich (Teil 1) - Bewusstsein / Unterbewusstsein

Unser Ich ist für uns so selbstverständlich, dass wir kaum einen Gedanken daran verschwenden, doch viele andere Tiere scheinen sehr gut ohne auszukommen. Letztendlich muss das Ichbewusstsein ein geistiges Konstrukt sein, dass für seinen Träger eine Aufgabe erfüllt.

Schaut man sich an, welche Tiere sich selbst im Spiegel erkennen (was gerne als Hinweis auf Selbstbewusstheit gedeutet wird) so stellt man fest, dass es vor allem die sozial lebenden Tiere sind, die über diese Fähigkeit verfügen. Dazu gehören Delfine, Menschenaffen, Elstern und seit Kurzen weiß man auch von Elefanten, dass sie sich im Spiegel erkennen. Wahrscheinlich ist es in einer Gemeinschaft hilfreich zwischen der eigenen Person und den anderen unterscheiden zu können und oben genannte Tiere zeigen zudem, dass sie zu Empathie fähig sind, das heißt, dass sie Gefühle und Vorhaben von Mitgliedern ihrer Spezies einschätzen können. Diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass Selbstbewusstsein in sozial lebenden Tieren entstanden ist und dienlich für das Zusammenleben ist.
 

Neurologisch kann man das Selbst nach seinen funktionalen Stufen aufteilen, nämlich in ein sog. Proto-Selbst, das im Gehirnstamm lokalisiert sein soll und dessen Störung zu Bewusstseinsverlust oder Koma führt. Darauf folgt das Kernselbst, welches neurologisch die nächste Verarbeitungsstufe selbstbezogener Informationen darstellt und tief im Hirn verborgen ist. Störungen in diesen Regionen führen u. a. zum Verlust der Belebtheit – die Person befindet sich nicht im Koma, ist aber handlungsunfähig und das Erleben und Erkennen ist herabgesetzt. Die höchste Bewusstseinserleben wäre in diesem Modell das autobiografische Selbst, das sich im Neokortex und Hippocampus des Gehirns wiederfindet. Ist diese Region in beiden Hirnhälften geschädigt, bleiben die Betroffenen ihrer Umgebung bewusst, können diese jedoch nicht mehr integrieren oder Zusammenhänge herstellen.
 

Für den Menschen äußert sich das autobiografische Selbst wiederum in drei Aspekten.

Zunächst ist da die Ich-Aktivität, sie beschreibt unsere Wahrnehmung, dass Handlungen, die wir ausführen, von uns selbst initialisiert werden. Das klingt zunächst selbstverständlich, denn selbst wenn die Handlung reflexartig erfolgt – z. B. weil unsere Hand von der heißen Flamme zurückzuckt – erkennen wir in der Regel, dass es der Körper ist, zu dem unser Bewusstsein gehört, das diese Aktion ausführt. Das ändert sich bei Störungen des Ich-Erlebens, so erkennen Schizophrenie-Patienten oft nicht diesen Zusammenhang und können den Eindruck haben, in ihren Handlungen, ihrem Denken und Fühlen fremdbestimmt zu sein.
 

Ein weiterer Aspekt ist die Ich-Konsistenz, dies kann man als Kern der Persönlichkeit betrachten, denn es integriert unser Erleben und unsere Erfahrungen in eine Selbstwahrnehmung des Ich, die wir als Selbst zu erkennen glauben. Auch dies ist für den gesunden Menschen so selbstverständlich, dass es gar nicht so einfach ist, darüber nachzudenken, wie dieses Selbstbewusstsein gestört sein könnte. Bei diesen Formen der Schizophrenie kann die Ich-Konsistenz beeinträchtigt sein; so gibt es Fälle, bei denen sich der Patient nicht mehr selbst erkennt - d. h. im Spiegel das eigene Gesicht nicht mehr als sein eigenes wahrnimmt. Es kommt zu einer Zersplitterung des Ich, das nicht mehr als Ganzheit wahrgenommen wird (das hat jedoch nichts mit multiplen Persönlichkeiten zu tun – auf die kommen wir noch zu sprechen).

Dies ist aber auch ein Aspekt von Drogen oder Nahtoderfahrungen. Die Auflösung der Ich-Konsistenz kann dazu führen, dass wir uns nicht mehr zu unserem Körper gehörig betrachten und dann meinen, ihn von außen zu betrachten, unabhängig vom Selbst, dass wir zum Beispiel als darüber schwebend zu sehen glauben.
 

Und schließlich gibt es noch die Ich-Kontinuität. Wir gehen immer davon aus, dass das Ich von gestern auch das Ich von heute und morgen ist. Doch auch das ist eigentlich nur ein psychologisches Konstrukt unseres Bewusstseins und dient, wie die bereits genannten Ich-Aspekte, der sozialen Interaktion in der Gruppe, schließlich identifizieren wir die anderen auch nach ihrem gestrigen Ich und müssen so etwas demnach auch uns selbst zuschreiben.
 

Kurzfristig kann die Dissoziation des Ich eine Schutzfunktion der Psyche sein, zum Beispiel wenn wir nach einem traumatischen Erlebnis „neben uns stehen“. Hält dieser Zustand aber an, dann kann eine multiple Persönlichkeit entstehen, wobei vermutet wird, dass ein traumatisierter Teil der Persönlichkeit als eigenständige Entität abgespalten wird, um dem anderen Teil ein Weiterleben zu ermöglichen.

Doch das ist eine Extremsituation. Im Alltag passiert es jedoch ständig, dass wir Teile des Bewusstseins quasi von einander trennen (unterschiedliche Persönlichkeiten sind das aber in der Regel nicht), wenn wir unbewusst eine Routineaufgabe erledigen und gleichzeitig bewusst Informationen verarbeiten, z. B. wenn wir uns während der Autofahrt mit dem Beifahrer unterhalten, oder ich, während ich diesen Artikel schreibe, Radio höre. So höre ich nicht mit ganzer Aufmerksamkeit auf die Musik, sondern konzentriere mich auf das Schreiben. Nur wenn ein Titel kommt, den ich besonders mag, verschiebt sich meine Aufmerksamkeit und ich integriere diesen Aspekt meines Bewusstseins wieder. Diese Überwachung unserer Umgebung erfolgt unbewusst und man könnte streiten, ob unser Unterbewusstsein Teil des Ichs ist, das uns ausmacht.

Wie wir in meinem letzten Artikel gesehen haben, wird das Unterbewusste vom Bewusstsein beeinflusst, so dass es nicht unabhängig vom Ich handelt. Das eigentliche Problem bei unserer Unterscheidung von Bewusst- und Unterbewusstsein scheint die Trennung von Körper und Geist zu sein, die wir den Griechen zu verdanken haben und die einen Geist quasi unabhängig vom Körper annimmt (dabei sehen wir das Bewusstsein eher als geistig und das Unterbewusstsein als körperlich). Wenn wir diese Trennung überwinden, dann könne wir auch unser Unbewusstes als Teil desselben Ichs akzeptieren.
 

Bei der multiplen Persönlichkeit geht dieser Schritt allerdings noch weiter, denn es handelt sich nicht mehr nur um eine Verschiebung der Aufmerksamkeit, sondern um eine völlig andere Persönlichkeit mit teilweise veränderter Selbstwahrnehmung – die Persönlichkeit kann ein anderes Alter oder ein anderes Geschlecht haben -, die hervortritt. Mit dem bildgebenden Verfahren der Magnetresonanztomografie konnte nachgewiesen werden, dass diese Persönlichkeiten scheinbar unterschiedliche Areale im Gehirn für sich beanspruchen (scheinbar, weil diese Ergebnisse noch nicht eindeutig sind, selbst die Vorstellung eine andere Persönlichkeit zu sein, könnte - unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung unterschiedliche Areale im Gehirn aktivieren).

Das, was wir als Ich wahrnehmen, ist nach all dem nur ein Konstrukt unsers Gehirns, dass die Informationsverarbeitung erfordert, um in einer sozialen Gemeinschaft funktionieren zu können. Kein Wunder das Störungen dieses Ich-Bewusstseins als Verrücktheit – neben der Gesellschaft stehend – angesehen werden, erschweren sie doch das Zusammenleben ungemein. Doch der Schritt von der allgemein akzeptierten Ich-Anschauung als Kennzeichen der individuellen Persönlichkeit zur krankhaften Veränderung ist fließend und kommt uns vor allem deshalb so fremdartig und unverständlich vor, weil wir nicht über die Mechanismen nachdenken, die unserer Ich-Integration zugrunde liegen oder wie sie sich entwickelt haben. Doch der Mensch hat die wohl einmalige Fähigkeit, nicht nur ein Selbstbewusstsein zu haben, sondern davon abstrahieren zu können, um über das Ich selbst nachdenken zu können (und wozu das in der Evolution gut sein soll, sei – vorerst – dahingestellt).


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