Bionik

Tiere haben keine Räder, aber dafür schwimmen sie durch Wasser - einige sogar durch Sand, fliegen durch die Luft oder laufen kopfüber an Decken und blanken Glasflächen. Diese Leistungen der Natur wurden lange Zeit übersehen und erst seit den 60er Jahren schauen Ingenieure und Naturwissenschaftler genauer hin, was sich die Evolution hat einfallen lassen, um gewisse Probleme zu lösen.

Ganz richtig ist das natürlich nicht, denn bereits Leonardo da Vinci hat bekanntlich den Vogelflug studiert, um seine Flugapparate zu konstruieren, auch wenn die Versuche diese Bewegungen nachzuahmen noch nicht von Erfolg gekrönt waren. Die ersten funktionsfähigen Gleitflugzeuge orientierten sich dann aber ebenfalls stark an der Flügelform der Vögel.

Aber das umsetzen in technologische Konzepte begann streng genommen erst Mitte des letzten Jahrhunderts, als Computer die Mittel bereitstellten, neue Ideen theoretisch zu prüfen und zu simulieren.

Besonders Furore hat vor einigen Jahren die Haihaut gemacht, in Experimenten hatte man festgestellt, dass der Widerstand der Haie im Wasser geringer war als man das angenommen hatte. Also schaute man sich die Haut etwas genauer an und stellte fest, dass sie nicht Glatt war - was bisher oberstes Ziel bei der Vermeidung von Reibungsverlusten war - sondern rauh. Und zwar hat jede Schuppe einen kleinen flachen, nach hinten gerichteten Haken. Und man braucht nur ein wenig darüber nachzudenken, um einzusehen, daß diese Lösung einfach genial ist.

Reibung entsteht da, wo sich zwei Stoffe mit unterschiedlicher Geschwindigkeit an einander vorbei bewegen. Bisher ging man davon aus, die Oberflache so glatt wie möglich zu machen ist, um Reibung zu minimieren. Die Haihaut hingegen verringert die Geschwindigkeitsdifferenz indem das Wasser zwischen den Schuppen stärker mitgezogen wird, je näher es dem Körper kommt. So muß der Hai nicht die Reibung zwischen Körper und unbewegtem Wasser überwinden, sondern nur die geringere Reibung von langsamem Wasser gegenüber schnellem Wasser.

Angewandt auf Flugzeuge bedeutet diese Technik eine Treibstoffersparnis von 1-3%, was einige Tonnen Treibstoff pro Flug einspart.

Ganz ähnlich arbeiten vielleicht auch die Schuppen des Sandskinks der sich am Rande der Sahara durch den Sand schwimmend vor der brennenden Sonne versteckt und von Berliner Forschern untersucht wird. Allerdings ist das Problem her noch verschärft, da es sich hier um die Reibung zweier Festkörper aneinander handelt.

Und schließlich ist da noch der Flug des Pinguins im Meer, Pinguine können unter Wasser enorme Geschwindigkeiten erreichen, was nur zum Teil an den Federn liegt, die ganz ähnlich wirken, wie die Haischuppen, den andern Teil macht die Körperform des Pinguins aus.

Der Pinguin ist nicht unbedingt so geformt wie sich der Strömungsmechaniker sich den idealen stromlinienförmigen Körper vorstellt, statt wie ein Keil auszusehen, hat ein Pinguin einen eher runden Körper, wie eine Spindel.

Um diese Form zu verstehen muß man sich vor Augen halten, daß ein Körper der sich durch eine Flüssigkeit bewegt Wirbel hinterläßt, die neben der Reibung einen wesentlichen Teil der Energie verbrauchen, die sonst für die Fortbewegung zur Verfügung stehen würde.Im Laufe der Evolution des Pinguins hat sich deshalb eine Körperform herauskristallisiert, die Diese Wirbel nach Möglichkeit verringert und sie da, wo sie sich nicht vermeiden lassen zumindest verhindert wird, daß sie abreißen und sich eine chaotische Strömung bildet.

Eine weitere interessante Oberfläche ist die der Lotusblüte, sie ist praktisch nicht beschmutzbar, ein paar Tropfen Regen spülen den Dreck sofort wieder runter. Um das zu schaffen ist die Oberfläche des Blattes sehr rauh und mit feinsten Noppen gespickt, die bei Flüssigkeiten die Oberflächenspannung ausnutzt, sie können sich auf dem Blatt nicht verteilen, sondern ballen sich zu kleinen Kügelchen zusammen, die ohne weiteres abperlen können. Dieser Lotusblüteneffekt befindet sich ebenfalls schon in der Anwendung, so kann man bereits Badezimmerarmaturen und Autolacke und Fassadenfarben mit ähnlichen Eigenschaften herstellen.

Aber die Natur liefert nicht nur Vorbilder in der Beschaffenheit von Oberflächen, auch die Techniken der Fortbewegung selbst sind von Interesse, vor allem in der Robotik interessiert man sich für neue Antriebsmethoden.

Beispielsweise hat man sich dazu in Ilmenau das Spinnenbein einmal näher angeschaut, es hat keine Muskeln sondern einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum im Knie, trotzdem können die kleinen Tierchen damit große Sprünge machen. Presst die Spinne Flüssigkeit in diesen Hohlraum streckt sich das Gelenk. Nach diesem Vorbild baut man derzeit Prototypen für winzige Werkzeuge und den Einsatz in der Medizintechnik.

Und dann sind da noch die Geckos, die Kopfüber an Decken und Wänden entlang laufen und selbst dann nicht runterfallen würden, wenn sie nur noch an einem Fuß Hängen. Diese Fähigkeit ist nicht auf einen Kleber im klassischen Sinne zurückzuführen, sondern auf feinste Haare an den Sohlen der Tiere, die mit Durchmessern von etwa 10nm so fein sind, dass sie Van-derWaals-Wechselwirkungen - Sind die Elektronen eines Atoms oder Moleküls nicht gleichmäßig verteilt kann die Positive Ladung des Kerns nicht komplett abgeschirmt werden und zieht Atome an, bei denen die Elektronen mit ihrer Negativen Ladung auf einer Seite überwiegen - mit der Lauffläche eingehen können. Diese Van-derWaals-Kraft ist sehr klein, aber die Menge der Haare sorgt für sehr viele dieser Bindungen, so das eine stabile Verbindung zustande kommt, die jederzeit durch abrollen - wobei immer nur wenige der schwachen Bindungen auf einmal gelöst werden - aufgehoben werden kann. Kunststofffolien die sich diesen Effekt zu Nutze machen befinden sich an der Universität von Manchester in der Entwicklung.

Der effiziente und ressourcenschonende Einsatz von Rohstoffen spielt in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle, aber auch die Natur geht in der Regel nicht verschwenderisch mit ihren Rohstoffen um. In der Konstruktion von tragenden oder belastbaren Bauteilen kann man sich deshalb ebenfalls vielversprechede Anregungen holen. Schaut man sich zum Beispiel die Knochen an, so stellt man fest, daß sie so geformt sind, daß sie auftretende Kräfte möglichst gleichmäßig verteilen um Spitzenbelastungen an einzelnen Punkten zu vermeiden.

Dieses Vorbild kann man zum Beispiel im Brückenbau nutzen. Man setzt dazu Computerprogramme ein, die die Belastung der Brücke simulieren und paßt die Tragekonstruktion mit evolutionär arbeitenden Algorithmen immer wieder an. Das geschieht, indem man Material hinzufügt, wo Belastungen auftreten und es da einspart, wo es nicht benötigt wird, bis die Form gefunden ist, die optimal an die gestellte Aufgabe angepaßt ist. Diese neuen Brücken sehen dann nicht mehr so aus, wie heute, sondern könnten eher organische, fließende Formen aufweisen.

Die verwendeten Computerprogramme zählen dabei natürlich auch zur Bionik, auch wenn man hier nicht ein einziges natürliches Vorbild hat, sondern immer wieder neues ausprobiert und die besten Lösungen weiter entwickelt, so wie die Natur selbst.

Dieses Vorgehen hat 1968 in der Strömungsmechanik zu einem überraschenden Ergebnis geführt. Um eine Venturidüse - eine Überschalldüse - zu optimieren zerlegte Schwefel sie in eine Reihe von Segmenten deren Durchmesser in dem oben beschriebenen Vorgang immer wieder verändert und geprüft wurde. Das Ergebnis wich stark vom bis dahin verwendeten Modell ab, das im wesentliche zwei ineinandergreifenden Kegeln glich und verbesserte die Strömungsverhältnissein der Düse um beachtliche 40%. Im nachhinein kann man dieses Ergebnis mit den Modellen der Theoretischen Physik verstehen, aber ein Evolutionsalgorithmus arbeitet mit weniger Rechenaufwand.

Die Bionik kann uns vieles lehren, wenn wir bereit sind genauer hinzuschauen. Insbesondere hinsichtlich Effizienz des Einsatzes von Rohstoffen, Optimierungsprozessen und Konstruktion hat die Natur unserer Technik immernoch eine Nasenlänge voraus. Aber die Ingenieure holen den Vorsprung der Natur von ein paar Milliarden Jahren langsam auf.


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