Die Wissenschaft vom Weihnachtsmann

Jedes Jahr aufs Neue beglücken uns die Wissenschaftsredaktionen mit der Berechnung der Reisegeschwindigkeit des Weihnachtsmanns (bzw. Santa Claus, denn in der Regel bezieht man sich auf die US-amerikanische Version) und dem Gewicht seines Schlittens.
Und jahrein, jahraus wird festgestellt, dass der Weihnachtsmann ein ziemlich zäher Bursche sein muss, wenn er mit einem über 2,3 Mio. Tonnen schweren Schlitten (im ruhenden Zustand und inklusive 5,6 Mio. Rentiere, die den Schlitten mit ca. 1 Mio. Tonnen an Geschenken ziehen müssen) mit 0.97-facher Lichtgeschwindigkeit um die Erde rast.
Die Probleme die dabei auftreten, dürften jedem Kind sofort einleuchten. Eine Reise bei dieser Geschwindigkeit in der Erdatmosphäre erzeugt Reibung und die Geschenke, ganz zu schweigen vom Weihnachtsmann würden dabei verglühen. Nun kann man natürlich annehmen, dass der Weihnachtsmann ein Schutzschild hat, vielleicht ein Energiefeld, wie die Enterprise – immerhin macht er den Job schon ein paar Jahre und sollte deshalb wenigstens ein wenig auf die Sicherheit am Arbeitsplatz achten. Dieses Schutzschild könnte die Erklärung für Rudolfs rote Nase sein, er trägt wohl den Deflektorschirm.

Auch wenn man vernachlässigt, dass die Luftreibung selbst mit einem Schutzschild immer noch die Atmosphäre aufheizt, was in Zeiten der Erderwärmung einfach nicht mehr akzeptabel ist, handelt es sich dabei bestenfalls um eine Halbwahrheit, denn es geht ja nicht nur darum, eine Strecke von über 500 Mio. Kilometern zurückzulegen, es muss auch bei jedem Haushalt ein Zwischenstopp eingelegt werden.
Das bedeutet, bei jedem Schornstein muss der Schlitten abgebremst, Geschenke ausgeladen und dann der Schlitten wieder beschleunigt werden. Ganz zu schweigen davon, dass bei der Zeit, die dabei verloren geht, die Reisegeschwindigkeit wahrscheinlich viel höher liegen muss, treten beim Bremsen und Beschleunigen G-Kräfte auf, die jedes Geschenk zu einem Pfannkuchen zusammendrücken würden. Doch die meisten Geschenke, die zu Weihnachten unter dem Baum liegen, bestehen nicht aus wenigen Lagen bunter Atome, sondern haben Struktur und Form.
Irgendetwas kann mit all den Annahmen also nicht stimmen.

Zunächst einmal darf angenommen werde, dass der Weihnachtsmann nicht alle Geschenke auf einmal mitnimmt, sodass vielleicht sogar die überlieferte Anzahl von acht Rentieren (und Rudolf, der ein paar Jahre später zum Team stieß) ausreichen könnten. Es wird sogar spekuliert, dass die Geschenke direkt vor Ort produziert werden. Mit (very) rapid Prototyping wäre das vorstellbar – würde aber das Weihnachtsgeschäft der Spielzeughersteller abwürgen und wäre mit Hinblick auf die Wirtschaft nicht wünschenswert.
Das sind alles sehr trübe Aussichten für die Geschenkeflut, die am Heiligen Abend und am 1. Weihnachtstag über die Kinder der Welt hereinbrechen soll.

Doch noch ist nicht alles verloren. Der Weihnachtsmann ist wahrscheinlich progressiver, als wir alle ahnen, und verlässt sich nicht allein auf die Relativitätstheorie, sondern nutzt auch quantenmechanische Effekte.
Ein Hinweis darauf ist, dass der Weihnachtsmann so gut wie nie bei der Arbeit beobachtet wird. Von Heisenberg wissen wir, dass Ort und Geschwindigkeit eines Objektes nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmt werden können. In der Zeit, in welcher der Weihnachtsmann sich also am Nordpol auf das nächste Fest vorbereitet, läuft seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit immer weiter auseinander, bis sie am Heiligen Abend die ganze Welt umspannt.
Das ist allerdings erst der erste Schritt, denn wenn er jetzt in irgendeinem Kamin auftauchen würde (das minimiert die Entdeckungsgefahr) würde seine Zustandsfunktion (ein anderer Ausdruck für die Aufenthaltswahrscheinlichkeit) zusammenschnurren und er müsste wieder fast ein ganzes Jahr meditieren, um seinen indifferenten Quantenzustand zu erreichen.
Es gibt da zwei Möglichkeiten, das Problem zu umgehen. Vielleicht braucht er ja nicht ein ganzes Jahr, sondern nur einen Augenblick, um seine Temperatur auf den absoluten Nullpunkt zu bringen. Dann verwandelt er sich nämlich in ein Einstein-Bose-Kondensat und seine Aufenthaltswahrscheinlichkeit läuft wieder auseinander. Dazu muss er nur seine Energie irgendwo loswerden. Vielleicht verdampft er also Kekse und Milch, die hier und da für ihn bereit stehen. Diese Vorgehensweise stelle ich mir ein wenig unangenehm vor, auf der Nordhalbkugel ist es ja oft schon so kalt genug.

Weniger Aufwand wäre es deshalb, einfach überall gleichzeitig zu sein. Gehen wir von der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik aus, wäre das auch kein Problem. Wenn sich die Weihnachtsmänner aus ca. 2 Mrd. Universen verabreden, unsere Welt gemeinsam heimzusuchen, könnten alle Geschenke praktisch gleichzeitig ausgeliefert werden und es bliebe sogar noch genug Zeit um jedes andere Universum mit Geschenken zu versorgen.
Wir brauchen uns also keine Sorgen um den Weihnachtsmann machen, er weiß sicherlich ganz genau, was er macht (sie machen). Und wenn ihr doch mal einen seht, schaut nicht so genau hin, er muss ja noch andere Kinder besuchen.


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BeitragvonDatumAntworten Letzte Antwort
Flatspace und Warp 10Mark7720.12.2016
23:01 Uhr
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